Verkehrsmelder: Island
Ich sollte diesen Artikel nicht schreiben. Nein, das sollte ich nicht. Weil es im Grunde sinnlos ist. Schließlich ist der wesentliche Inhalt meiner "Verkehrsmelder" derjenige, sich über Besonderheiten im Straßenverkehr anderer Länder zu mokieren, doch wüsste ich nach meinem Island-Aufenthalt nicht, über was.
Gut, vielleicht sehe ich auch alles ein bisschen durch meine
I-Love-Iceland-Brille, aber das Dilemma fängt doch schon damit an, dass
in diesem Land irgendwie jeder Autofahren kann. Weil: muss. Ein
alltagstaugliches Nahverkehrssystem besteht nur im Hauptstadtbereich
ansatzweise, ansonsten braucht eben jeder einen Wagen, denn selbst zum
Nachbarn kann es zu Fuß mal einen Tag dauern. So stehen vor fast jedem
Haus mehrere Fahrzeuge herum, und die Bewohner wissen damit umzugehen.
Sie steuern sie zügig, aber unaufdringlich, ohne übermäßige Eile. In
einem Land, wo auf Landstraßen - und damit überall, denn es gibt keinen
Meter Autobahn - 90 km/h das Höchste der Gefühle und
Geschwindigkeitsübertretungen (wie so ziemlich alles außer Kaffee) ein
schweineteures Vergnügen sind, wo selbst Brücken von mehreren hundert
Metern Länge gerne mal nur eine Fahrspur besitzen, so dass man durchaus
mitten über einem Gletscherfluss plötzlich einem Gegenüber begegnen
kann, wo Schafe grundsätzlich Vorfahrt haben und dieses Recht - gerne
genüsslich kauend und provokant stierend - auch teilweise mit
erstaunlicher Ruhe ausschöpfen - nein, in so einem Land hat man einfach
besser keine Eile. Man sieht zwar zu, dass man dennoch irgendwie
vorankommt, schließlich sind die meisten Wege weit und holprig, aber
Drängeleien, Hupen oder einen auch nur ansatzweisen Konflikt über "Wer
darf zuerst?" gibt es nicht.
Das gilt übrigens nicht nur an einspurigen Brücken (nonverbaler Dialog: "Fahren Sie ruhig zuerst!" - "Aber nein, Sie waren sicher eine Sekunde eher an der Brücke." - "Nicht doch, mein Lieber! Sehen Sie, ich gebe Ihnen sogar Lichtzeichen! Möchten Sie nicht zuerst das Gewässer queren?" - "Na gut, aber nur unter Protest. Und sollten wir uns einmal wieder begegnen, lade ich Sie zum Essen ein.") sondern sogar in der Reykjaviker Rush-Hour. Da wird selbst für unsinnigste Spurwechsel durch desorientierte Touristen noch Platz gemacht.
An den Fahrern ist also nichts auszusetzen. Wie sieht es dann mit Beschilderungen aus?
Schlimm! Schlimm, schlimm, schlimm!
Also, aus Sicht des Sich-mokieren-Wollenden. Denn die Beschilderungen sind perfekt. Jeder halbwegs befahrbare Feldweg hat eine eigene Nummer, die gut sichtbar angegeben ist. Jedes Gehöft, und sei es im abgelegensten Niemandsland, hat einen Namen und das passende kleine blaue Schild dazu an der Abfahrt. Und der Knüller: zweigt eine Nebenstraße von einer Hauptstraße ab, stehen an der Kreuzung häufig Übersichtstafeln, an denen abzulesen ist, welche Gehöfte man über diese Nebenstraße erreicht. Aaaargh!
Interessant auch der entspannte Umgang der Isländer mit Beschränkungen.
Damit hat man es irgendwie nicht so. Vielmehr agiert man gerne nach dem
"selbst schuld"-Prinzip.
An wunderbar zum Absturz geeigneten Stellen - etwa rutschigen Rändern
reißender Wasserfälle oder bröckeligen Klippen - finden sich
beispielsweise höchst selten irgendwelche Absperrungen, sondern nur etwa
daumengroße Schildchen, die die Besucher auf die Möglichkeit
des Fallens hinweisen; sie zu nutzen, gewollt oder nicht, bleibt jedem -
hindernisfrei - selbst überlassen.
Ähnlich handhabt man es im Straßenverkehr. Anders als in Deutschland wird hier die Höchstgeschwindigkeit an gefährlichen Stellen nicht beschränkt, um das Ganze fünfzig Meter weiter wieder aufzuheben, bis in fünfhundert Metern die nächste höchst gefährliche Stelle kommt. Nein, in Island wird vielmehr gerne eine angemessene Geschwindigkeit mittels blauen Schildes vorgeschlagen. Man muss sich nicht daran halten, ist aber eben, wenn es schief geht... genau, selbst schuld.
Gute Fahrer auf perfekt beschilderten Straßen und ein Verkehrssystem mit einer auf das Notwendige beschränkten Regelungsdichte. Wie langweilig ist DAS denn?!?
Einen Punkt gibt es allerdings, an dem man sie packen kann, die
Isländer: den Zustand der Straßen. Es hat sich viel getan in den Jahren
seit meinem letzten Besuch. Wo ich beispielsweise damals die Bemühungen,
mich einer Gletscherzunge zu nähern, aufgrund zu großer Gefahr eines
nicht versicherten Unterbodenschadens am Mietwagen abbrechen musste,
führt heute ein geteertes Band sanft geschwungen durch das Geröll, und
am Ende kann man an einem Kiosk einen Kaffee schlürfen. Man möge das ob
des Verlusts von Abenteuerfeeling ausgiebig beweinen, zurecht, aber im
Hinblick auf den Straßenzustand ist es nun mal ein Fortschritt.
Die Nationalstraße Nr. 1, die "Ringstraße", die einmal rund um die Insel
führt und eigentlich die einzige echte Hauptstraße des Landes ist, ist
ebenfalls mittlerweile fast durchgehend geteert. Aber eben nur fast. Es
gibt sie noch, die paar Kilometer auf Schotter um einen Fjord herum.
Und es gibt die Nebenstraßen. Diese lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
A: halt nicht geteert, aber sonst bis auf ein bisschen Geholper okay
B: wer langsam fährt, kommt eventuell ohne Schaden durch, erlaubt sind aber trotzdem 80 (selbst schuld!)
C: nur für Jeeps geeignet - und für Mountainbikes, sofern die
Fahrer schwimmen können
Ha! Erwischt, Isländer!
Allerdings erfährt auch dieser Triumph seine Einschränkungen. Denn: Man weiß es ja vorher. Überraschende Straßenschäden bis hin zu weggebrochenen Straßenrändern an steilen Berghängen, wie ich sie gerade in südeuropäischen Ländern schon häufig bejubeln konnte, gibt es hier nicht. Schlechtere Straßen sind - wie sollte es anders sein - entsprechend ausgewiesen und beschildert. Wenn man meint, man muss sie mit seinem Opel Corsa benutzen, dann ist man halt... Na?