Sprecht mich an!

01.04.2020
erstmals veröffentlicht in !Szene vom 16.08.2002
erstmals veröffentlicht in !Szene vom 16.08.2002

(Frage: Kennt noch wer die Werbespots?...)

Ich brauche morgens meinen Kaffee.

Und zwar wegen seines Verwöhnaromas, das meine in ihrem Urteil eine übermächtige Instanz darstellende und nebenbei stinkreiche Erbtante mit dem fahrradkettenartigen Halsschmuck stets zu loben pflegt. Dabei ist er - man mag es kaum glauben - koffeinfrei! Aber das stört mich kein bisschen, wenn ich, in einen duftigen weißen Bademantel gehüllt, an den grün gestrichenen Wänden meiner von der Morgensonne durchfluteten Wohnung entlang schlendere, ehe ich mich in meinen Lieblingskorbstuhl fallen lasse und sinnierend durch die streifenfrei geputzte Balkontür blicke, während ich mich genussvoll nippend an diesem Manna labe.

FALSCH, FALSCH, FALSCH!

Was sind das denn bitte für Menschen, die sich hierin wiederfinden? Ich und so ziemlich alle, die ich kenne, gehören jedenfalls nicht dazu.

Ich pfeife auf Aroma. Ich will die Faust im Gesicht, die mir unmissverständlich zu verstehen gibt, dass es mal wieder an der Zeit ist, der Welt Auge in Auge gegenüberzutreten.

Aber sieht man in der Werbung verkaterte, unrasierte Männer mit Ringen unter den Augen, die sich, auf einem Küchenstuhl sitzend und schweigend die Wand anstarrend, abwechselnd Zigarette und Tasse an den Mund führen, um sich schließlich zum Aufrichten zu überwinden und halbmotiviert "Los geht's!" zu murmeln?

DAS würde mich ansprechen! Und glaubt mir, Werbemacher, ich bin hinsichtlich der Verbrauchsmengen Teil einer viel lukrativeren Zielgruppe als blasierte Abziehbildcharaktere und gelangweilte Millionärsgattinnen, die sich bestenfalls mal ein Genussschlückchen gönnen. Um Leute wie MICH solltet Ihr Euch balgen.

Ich habe es auch satt, dass mir männliche Stimmen aus dem Off weismachen wollen, das Fertignudelgericht würde mir den Italiener nach Hause holen. Darauf lege ich nun wirklich keinen Wert. Ich kenne den Mann schließlich gar nicht. Und sicher würde der sich herzlich bedanken, wenn ich ihm einen in fünf Minuten angerührten Nudelpframpf mit merkwürdigem Kunstaroma anböte, der auch nicht italienischer wird, wenn man unzählige "verfeinernde" Butterbrocken hineinwirft.

Ich preise Fertignudelgerichte wie folgt an: "Geht schnell, kann man auch als Kochtrottel nicht viel falsch machen, schmeckt auch nicht schlechter als vieles andere, macht halbwegs satt und ist preislich sehr in Ordnung für eine warme Mahlzeit."

Probiert's mal, Werbefreunde. Sprecht die richtige Zielgruppe an. Falls Ihr das dachtet: nein, die Feinschmecker sind's bestimmt nicht.