Ich rette euch!
Es war Sommer.
Der Zug, zu dessen Passagieren ich zählte, war gerade in einen Bahnhof
eingefahren. In Gedanken irgendwo anders verfolgte ich das
Durcheinanderwuseln Ausgestiegener und Einsteigewilliger vor dem
Fenster, als mein Blick auf die Bahnsteigkante fiel und dort etwas meine
Aufmerksamkeit auf sich zog: in gelben Lettern, so angebracht, dass man
sie nur von den Gleisen aus sehen konnte, strahlte da eine Warnung:
"Vorsicht bei Sanierungsarbeiten - Schotterdecke nur 15 cm! Isolierung nicht beschädigen!"
Was mich umgehend etwas nachdenklich stimmte: Dieser Text stand da genau
einmal. Genau an dieser Stelle. Sonst, soweit ich sehen konnte,
nirgends. Dementsprechend war er von ein paar Metern weiter rechts oder
links nicht mehr erkennbar. Was aber, wenn man dereinst nicht
unmittelbar vor dem Text mit den Sanierungsarbeiten beginnen würde?
Oder was, wenn des Deutschen nicht mächtige Arbeiter hier ihre über 30cm
langen Spitzhacken in den Boden bohren würden?
Hinüber wäre sie, die Isolierung, was auch immer sie isolieren mag. Und dann?
Vor meinem geistigen Auge sah ich den Vorarbeiter, wie er sich, dem
vernehmlichen Zischen aus dem Untergrund keine weitere Beachtung
schenkend, eine Zigarette anzündet und anschließend, begleitet von einem
lauten Knall, dem Bahnhof und dem angrenzenden Stadtteil, durch die
Luft segelt.
Alternativ erzeugte meine Vorstellung eine Giftgaswolke, die sich über
ganz Nordbayern ausbreiten und zur Evakuierung der kompletten Bevölkerung ins
Voralpenland zwingen würde... Gruselig!
Ich musste etwas unternehmen.
Kurzerhand entschloss ich mich, die Verantwortlichen, notfalls
gerichtlich, dazu zu bewegen, die lebensrettende gelbe Aufschrift in
allen Sprachen dieser Welt inklusive Esperanto riesengroß auf den
gesamten Bahnsteig zu pinseln.
Meine Heimat, ja die ganze Welt muss gerettet werden!
Aber irgendwie bin ich bisher nicht dazu gekommen.