Ich rette euch!

17.03.2012
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 11.04.2003
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 11.04.2003

Es war Sommer.
Der Zug, zu dessen Passagieren ich zählte, war gerade in einen Bahnhof eingefahren. In Gedanken irgendwo anders verfolgte ich das Durcheinanderwuseln Ausgestiegener und Einsteigewilliger vor dem Fenster, als mein Blick auf die Bahnsteigkante fiel und dort etwas meine Aufmerksamkeit auf sich zog: in gelben Lettern, so angebracht, dass man sie nur von den Gleisen aus sehen konnte, strahlte da eine Warnung:

"Vorsicht bei Sanierungsarbeiten - Schotterdecke nur 15 cm! Isolierung nicht beschädigen!​"

Was mich umgehend etwas nachdenklich stimmte: Dieser Text stand da genau einmal. Genau an dieser Stelle. Sonst, soweit ich sehen konnte, nirgends. Dementsprechend war er von ein paar Metern weiter rechts oder links nicht mehr erkennbar. Was aber, wenn man dereinst nicht unmittelbar vor dem Text mit den Sanierungsarbeiten beginnen würde? Oder was, wenn des Deutschen nicht mächtige Arbeiter hier ihre über 30cm langen Spitzhacken in den Boden bohren würden?
Hinüber wäre sie, die Isolierung, was auch immer sie isolieren mag. Und dann?

Vor meinem geistigen Auge sah ich den Vorarbeiter, wie er sich, dem vernehmlichen Zischen aus dem Untergrund keine weitere Beachtung schenkend, eine Zigarette anzündet und anschließend, begleitet von einem lauten Knall, dem Bahnhof und dem angrenzenden Stadtteil, durch die Luft segelt.
Alternativ erzeugte meine Vorstellung eine Giftgaswolke, die sich über ganz Nordbayern ausbreiten und zur Evakuierung der kompletten Bevölkerung ins Voralpenland zwingen würde.​.​. Gruselig!

Ich musste etwas unternehmen.
Kurzerhand entschloss ich mich, die Verantwortlichen, notfalls gerichtlich, dazu zu bewegen, die lebensrettende gelbe Aufschrift in allen Sprachen dieser Welt inklusive Esperanto riesengroß auf den gesamten Bahnsteig zu pinseln.
Meine Heimat, ja die ganze Welt muss gerettet werden!

Aber irgendwie bin ich bisher nicht dazu gekommen.