eine Frage des Geschmacks

16.03.2014
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 17.01.2003
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 17.01.2003

Es gibt ja durchaus einen Unterschied zwischen "das ist eine Frage des
Geschmacks" und "das ist einfach Mist". Und manchmal, wenn einem letzteres auf der Zunge liegt, sollte man es sich mangels Fachkenntnis dennoch verkneifen.

So geht es mir beispielsweise bei manchen supermodernen Bauwerken, oft vieleckig, kreuz und quer verglast und am Ende womöglich gar noch derart pastellfarben, dass man meinen möchte, wesentlicher Inhalt eines Architekturstudiums wäre es zuallererst, beim Nachwuchs jedes ästhetische Empfinden vollständig zu vernichten. Der (vermeintliche) Kenner allerdings wird ob des raffinierten Konstrukts vielleicht mit der Zunge schnalzen.
Naja, wem's gefällt.

Dennoch gibt es Grenzen, jenseits derer ich mich auch als im Bauwesen völlig Unbewanderter zu einer vernichtenden Meinungsäußerung hinreißen lasse. Zum Beispiel bei schiefen Supermarkt-Parkplätzen. Da kommt man mit dem im wilden Konsumrausch voll bepackten Einkaufswagen frohgmut zum Auto zurück, lässt ihn nur kurz unbeaufsichtigt dahinter stehen, und wenn man wieder hinsieht, sind - simsalabim - schon alle Sachen im Kofferraum. Allerdings in dem des gegenüber geparkten Autos, und zwar samt Einkaufswagen in eine hübsche Delle geschmiegt.

Doch zurück zu den Grauzonen der Geschmacksfragen. Wer diese auf durchaus unterhaltsame Weise einmal erfahren möchte, dem sei folgendes vorgeschlagen:
Man treffe sich mit einem Menschen, der sich überzeugt als Weinkenner und -liebhaber bezeichnet, lasse sich einen seiner Lieblingstropfen empfehlen, zeige sich hoch interessiert und überrede zu einer gemeinsamen Kostprobe. Mit etwas Glück wird es sich um einen Höhepunkt der Winzerkunst zum Preis eines Kleinwagens handeln.
Man halte nun das Glas gegen das Licht, schwenke, rieche, schlürfe kennerhaft, lasse den Wein ausdauernd und mit versunkenem Blick im Munde kreisen, schmatze, schlucke, lege den Kopf nachdenklich schief und sage schließlich: "Schmeckt doof.​"

Sollte dies noch keine an- und aufregende Unterhaltung hervorrufen, erwähne man noch, dass der Zwei-Euro-Italiener aus dem Supermarkt "irgendwie leckerer" sei.