Das wird echt gut!

07.07.2011
erstmals veröffentlicht in KULT Nr. 19 (1999), gekürzt !SZENE am 23.04.2004
erstmals veröffentlicht in KULT Nr. 19 (1999), gekürzt !SZENE am 23.04.2004

Ich stehe im Flur irgendeiner Wohnung und unterhalte mich mit irgendjemandem.
Um uns herum sind noch viele andere Leute
Ich bin müde.
Ich habe meinen Gesprächspartner lange nicht mehr gesehen.
Eigentlich hat mir das aber auch nie etwas ausgemacht.
Genau gesagt weiß ich gar nicht mehr, wie er heißt.
Wenn ich es überhaupt je gewusst habe.
Er redet Belangloses.
Ich sehe mich um und erkenne viele Gesichter.
Ihre vielen Münder reden auch.
Meist nahe an den vielen Ohren, um die Musik zu übertönen, die mir nicht gefällt.
Ich bin müde.
Mist.
"Das wird bestimmt gut!", hat sie gesagt.
Oh ja, sehr gut.
Man ist lustig. Oder auch nicht.
Ich trinke hastig von meinem Bier.
Bloß auch lustig werden!
Warum dauert das mit dem rettenden Rausch so lange?
Gibt's hier auch Schnaps?
Ich entfliehe dem einseitigen Gespräch und stolpere im Halbdunkel durch Rauchschwaden.
Ich bin müde.
"Hey! Du bist ja auch hier!"
Ach was! Klappe zu!
Ich will nicht hier sein!
Warum bin ich hier?
Amüsieren sich all die anderen wirklich?
Ist es wirklich gut?
Bin ich nur der Einzige, der es nicht bemerkt?
"Ja ja." Immer lächeln.
Wo ist der Schnaps?
"Na? Und?"
"Ach ja. Und bei dir? Lang nicht mehr gesehen!"
Zum Glück. Wer bist du überhaupt noch mal?
"Na ja, ich studier halt immer noch Sozpäd..."
Ich denke an was Schönes.
An mein warmes, weiches Bett zum Beispiel.
Auf dem Sofa wird geknutscht.
Knutschen ist nur schön, wenn man selber beteiligt ist.
Aber meine Freundin muss sich gerade auch mit Leuten unterhalten, denen sie womöglich lange nicht mehr begegnet ist.
Interessiert sein an den Lebensläufen von Menschen, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hat und im Leben vielleicht noch zweimal sehen wird.
Wenn überhaupt.
Für Minuten auf dem neuesten Stand sein.
Vielleicht bis morgen.
Dann vergessen.
Warum auch nicht.
Eigentlich war's ja auch nicht wichtig.
Ich glaube kaum, dass irgendeiner hier gerade etwas Wichtiges sagt.
Mir würde ja schon etwas Witziges genügen.
Bin ich sozial unfähig?
Vielleicht.
Auf jeden Fall bin ich müde.
Wenn ich jetzt gehe, bin ich nicht etwa der Gelangweilte, sondern der Langweiler.
Wäre ich gar nicht gekommen, wäre ich einer, der sich rar macht.
Und ich wäre vielleicht schon im Bett.
"Was, du willst schon gehen?", würden Leute sagen, die vorher den ganzen Abend keine Notiz von mir genommen haben.
Aber darum geht es ja auch gar nicht.
Ich war immerhin da.
Und ich wäre der, der die Gästezahl verringern würde.
Am Ende würden andere noch meinem Beispiel folgen, die sich auch nicht getraut haben, als erste zu gehen.
Weil sie keine Langweiler sein wollten.
Und das sähe ja dann aus, als wäre es nicht gut hier.
Und das kann nicht sein.
Wo es doch heute echt gut wird.
Die Erwartung ist zum Plan mutiert.
Die Pflicht hat die Möglichkeit in einen Sack gesteckt, sie gründlich erstickt und anschließend ein Drehbuch geschrieben, an das sich gefälligst akribisch zu halten ist.
Bloß nicht schuld sein.
Und wenn ich es gutsaufen muss: Es wird echt gut heute.
Wo ist der verdammte Schnaps?!?