das Schwinden der Identifikationsfiguren

02.02.2014
von der "alten" Timbo-Seite
von der "alten" Timbo-Seite

Wo sind sie eigentlich alle hin, die Charaktere, die mit Haut und Haar für das stehen, was sie anpreisen?
Nein, das wird keine stammtischtaugliche Politiker-Schelte. Ich spreche von der Werbung.

Und ich meine nicht die Prominenten, die für einen Haufen Geld so tun, als würden sie das Produkt, für das sie irgendein Gesicht machen oder mal eben hin und her laufen, tatsächlich selbst jemals benutzten und im schlimmsten Fall sogar etwas dabei sagen (Steffi Graf: "Der Beginn einer kochenden Leidenschaft.​" Nie wurde ein Satz wie dieser ähnlicher einem paar eingeschlafener Füße dahergegähnt.​)

Ich spreche auch nicht von angeblichen Koryphäen, die mit Vornamen "Dr.​" und mit Nachnamen irgendwie heißen, was unten eingeblendet wird, aber keinen interessiert, weil schon der Kittel aus dem Kostümverleih, die Brille in der Hand und das völlig unsinnige Fantasie-Diagramm zum Draufzeigen ausreichend vorschlaghammermäßig vermitteln, dass sie die Kompetenz besitzen, zum Kauf des richtigen Produkts zu raten.

Ich spreche von einer Spezies Werbefiguren, wie es sie - kürzlich bei gemeinsamem Rätseln mit kompetenten Gesprächspartnern festgestellt - heute so gut wie gar nicht mehr gibt. Diejenigen nämlich, die alleine für das Produkt, ja, wegen des Produkts und durch das Produkt überhaupt existieren, die es repräsentieren mit Haut und Haar und in Fleisch und Blut (nicht wie ein gezeichnetes Maskottchen à la extrem schlecht reimende Waschperlen-Schlauberger-Fuc­hs-Nervensäge).

Kaum einer, der sich nicht in nerdiger Art mit unnötigem Wissen belastete, wusste, wer die Schauspieler waren, und man wollte es auch gar nicht wissen.
Tilli war beispielsweise einfach Tilli, die Handpflegerin, die ihre Kunden mit leichten Schlägen dazu zwang, ihre Hände in Geschirrspülmittel.​.​. Entschuldigung, in Palmoliv zu baden.
Klementine, die rüstige Hausfrau, die mit Nachdruck befahl, Ariel in den Hauptwaschgang zu schütten, hatte ihren Namen gar auf die Latzhose gestickt.
Und wer würde nicht gerne mal, wenn er ein Problem hat, einfach nur "Hallo, Herr Kaiser!​" rufen? Der Versicherungsvertreter der Hamburg-Mannheimer war jeden Tag einer kleinen Fee gleich unterwegs, um den Leuten mit einigen freundlichen Worten all ihre Sorgen zu nehmen. Er reagierte nicht einmal dann gereizt, wenn er beim mittäglichen Currywurstverzehr von Kunden mit dämlichen Fragen belästigt wurde.
Unterwegs war auch Frau Antje, unentwegt hin und her, um den ganzen Käse aus Holland rüber zu schaffen. Und das auf Holzclogs!
Oder, ach ja, der Melitta-Mann! Er ließ uns Einblick nehmen in sein Leben, in all die kleinen Anekdötchen aus dem Alltag, die sich sämtlich in Wohlgefallen auflösten, presste man letztendlich nur den Filterkaffee durch die richtigen Tüten.
Hier erleben wir den Gipfel der Produkt-Identifikation: Seine Tochter spielte wohl mal in einer Soap mit; niemand außerhalb des engsten Fan-Kreises wusste, wie sie hieß, aber man wusste: Sie war die Tochter vom Melitta-Mann.

Hat diese sehnsuchtsvolle Aufzählung jetzt noch eine Pointe? Nö. Ich frage mich nur, warum es solche jedermann bekannten Sympathieträger-Figuren in der Werbung heute nicht mehr gibt. Oder weiß jemand, wie dieser dreiste Blender heißt, der angeblich alle Anliegen der 1&1-Kunden innerhalb eines Tages persönlich bearbeitet?

Eben.