Alles a weng

15.11.2011
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 06.12.2002
erstmals veröffentlicht in !SZENE am 06.12.2002

(Hinweis für Nicht-Franken: "alles a weng" = "alles ein bisschen")

Was ich gerne esse?
Ach, alles a weng.
Ich bin kein Vegetarier und verschließe mich auch im Urlaub nicht den landestypischen Leckereien. Zumindest mache ich mal einen Versuch. Manchmal lernt man ja dazu, wenn das Hauptgericht, dessen Namen auf der Speisekarte man offensichtlich fehlinterpretiert hat, mit acht traurigen Augen um Gnade fleht, oder wenn man nach Genuss der von der hübschen Kellnerin empfohlenen, süßen, körnig-breiigen Nachspeise zwei Tage lang statt der Schönheit der Natur die Kacheln der Toilette bewundert. Ansonsten verflüchtigt sich eigentlich nur beim Anblick von sauerer Leber oder Blutwurst meine Lust auf Genuss.
Man muss halt alles (a weng) probieren.

Es gibt aber auch Fragen im Leben, deren Beantwortung mit "alles a weng" weniger von Offenheit und Flexibilität zeugt denn von fehlender Einstellung. Menschen zum Beispiel, die auf "Was hörst du denn am liebsten für Musik?​" ein "Och, alles a weng.​" nuscheln, sind mir suspekt.
"Hören" beschreibt schließlich in diesem Kontext nicht die Wahrnehmung an sich, derer man sich möglicherweise nicht erwehren kann, wenn man sich der Unterschiedslosigkeit dessen hingibt, was aus dem Radio quillt, oder geradezu panisch durch abendliche TV-Volkstümeleien zappt auf der verzweifelten Suche nach.​.​. irgendwas anderem. Nein, "hören" meint hier eine grundlegende Tendenz, die sich insbesondere beim Erwerb von Tonträgern widerspiegelt. Und diese wiederum ist oft aussagekräftiges Spiegelbild der Persönlichkeit und/​oder des sozialen Standpunkts und/​oder aller und jeder Bedeutung und überhaupt.

Ich erinnere mich beispielsweise an meine Grundschulzeit, in der die Frage, ob man Abba oder die Beatles besser fände, von essentieller Bedeutung für die Aufnahme in eine der diversen Banden war.
In spätpubertären Jahren IST man, was man HÖRT. Man ist Metaller, Hip-Hopper, Techno-Wirrkopf, jedenfalls irgendwas. Das ist wichtig! Outfit, Freundeskreis, Lebensphilosophie - alles schwimmt in diesen Jahren dahin auf den Klangwellen, die der heimischen Stereoanlage entströmen, und da diese Jahre so prägend für die Persönlichkeitsentwicklung sind, bleibt einiges davon bis ins hohe Alter hängen.

Ich frage mich daher zum Ersten: Wie sieht das CD-Regal von jemandem aus, der "alles a weng" hört? Nehmen dort Marianne und Michael beim Schunkeln zu Sade-Interpretationen von Motörhead-Klassikern Eminem in die Mitte? Stehen Mozart und Ambros wegen des gleichen Vornamens nebeneinander und beschließen nach erstem Kennenlernen, zusammen auf die Loveparade zu fahren?
Und wie sieht - zum Zweiten - dementsprechend der "alles a weng"-Mensch aus? Trägt er ein clownartig zusammengeflicktes Outfit? Ist sein Freundeskreis so bunt gemischt wie sein Repertoire an völlig konträren Antworten auf alle Lebensfragen?
Selten.

Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Vielfältigkeit interessanter charakterlicher Besonderheiten von "alles a weng"-Menschen in der Regel besser vorhersagbar wäre, würden sie die Hör-Frage ehrlicherweise beantworten mit:

"Nichts.​"